Am 08. & 09.11. fand der 32. Open Mike statt – ein internationaler Wettbewerb für junge deutschsprachige Prosa und Lyrik. Gemeinsam mit einigen Mitstudierenden besuchte ich den Vorabend des Berliner Literaturwettbewerbs und habe meine Eindrücke und Gedanken dazu festgehalten. Der Abend bot nicht nur literarische Neuheiten, sondern auch einen Blick auf die Herausforderungen, die die Berliner Kulturszene aktuell prägen – aber dazu im folgenden Bericht und im anschließenden Absatz mehr.
***
Auf einem Hinterhof in Berlin, im Vorgarten des Heimathafen Neukölln:
Nach einem kollektiven Sterni vom Späti und ein paar Minuten nachdenklichen Schweigens – durchsetzt von den Versuchen, über die Inhalte der ersten Master-Wochen hinaus ein Gesprächsthema zu finden – begann der Vorabend des 32. Open Mike. Ausgerichtet vom Haus für Poesie war der Abend dazu gedacht, literarischen Nachwuchs zu fördern und jungen Autor:innen eine Bühne zu bieten. Fast wie VIPs wurden wir Studierenden der Angewandten Literaturwissenschaft eine nach der anderen durch den Einlass gewunken.
Die Halle war bereits gut gefüllt, und im schummrig roten Licht zeichnete sich ein bunt gemischtes Publikum ab – gespannt und erwartungsvoll, bereit für einen Abend voller Literatur. Hinter der Bühne wurde das Logo des Open Mike an die Wand projiziert – Schriftzug und Farben knallig, modern – im Gegensatz zu den Stühlen auf der Bühne, die scheinbar schon viele Veranstaltungen miterlebt hatten. Die sonst sparsam eingerichtete Bühne ließ erahnen, was nicht nur diesen Abend überschattete, sondern die gesamte Kulturwelt aktuell bewegt. Spätestens mit der einführenden Rede von Katharina Schultens, der Leiterin des Haus für Poesie, war es klar. Der Berliner Kultur geht es schlecht. Es steht so schlimm um sie, dass alle Anwesenden Zeugen des letzten Open Mike werden könnten. Mit den geplanten Kürzungen des Berliner Kulturetats um zehn Prozent, die im nächsten Jahr umgesetzt werden sollen, steht die Veranstaltung und mit ihr vermutlich auch viele andere vor dem Aus [Edit: Nach aktuellem Stand (01.12.24) sind es sogar fast 13% weniger]. So bedrückend die Rede von Katharina Schultens begann, so ermutigend war sie zum Ende. Sie rief dazu auf, laut zu werden, Videobotschaften aufzunehmen, öffentlich dagegen zu demonstrieren, eine Petition zu unterschreiben – zu zeigen, dass uns Kultur nicht egal ist, dass Berlin seine Kultur braucht wie eine Flamme den Sauerstoff. Ohne sie verliert die Stadt nicht nur ein Stück ihrer schillernden Leuchtkraft, sondern auch das, was sie ausmacht: Wärme, Leben und die Inspiration, die gerade in den langen Wintermonaten viele Berliner durch die Dunkelheit trägt.
Nach der Rede führte die Moderatorin Marie Kaiser durch den Abend. Sie stellte die Autorinnen, Debütantinnnen und Finalistinnen der Vorjahre Ruth-Maria Thomas und Frieda Paris und auch ihre Lektor:innen Anna Humbert und Helge Pfannenschmidt vor. Nach Small Talk, Kennenlernen und einer Einordnung des Textes folgte zunächst eine Lesung des Langgedichts von Frieda Paris aus ihrem Lyrik-Band Nachwasser. Ob es die „Schwellenangst vor Lyrik“ (Helge Pfannenschmidt) war oder die allgemeine Verwirrung, die Lyrik manchmal auslöst – das Publikum nahm es unterschiedlich auf. Direkt vor mir flüsterte ein Mädchen, schätzungsweise 12-14, leicht verzweifelt und nacheinander zu ihren Freundinnen: „Verstehst du das?“ Während Freundin A unmissverständlich den Kopf schüttelte, nickte Freundin B pflichtbewusst, sagte jedoch kein Wort der Erklärung dazu. Es bleibt also offen, ob sie es wirklich verstanden hat. Vielleicht ist das Kunst: Nicht alles verstehen zu müssen, aber dennoch mitzuschwingen.
Bei einem kurzen Gespräch zum Inhalt bemühte Marie Kaiser sich persönliche Fragen zu stellen, wirkte dabei routiniert, ließ aber manchmal ein wenig Nähe vermissen. Ein kleiner Versprecher – Frieda wurde zu „Helga Paris“ – brachte einen lockeren Moment und unterstrich, dass selbst Profis nicht unfehlbar sind. Außerdem wirkte die Moderatorin dadurch etwas nahbarer. Die so neu getaufte „Helga Paris“ nahm den Versprecher locker, lächelte ihn charmant beiseite und konzentrierte sich wie ein Profi auf die gestellte Frage.
Ruth-Maria Thomas las anschließend aus ihrem Debütroman Die schönste Version, der die Geschichte einer jungen Liebe erzählt, die voller guter Absichten beginnt, aber zunehmend kompliziert wird. Die vorgelesene Passage traf tragisch ins Menschliche, und die bedrückende Atmosphäre im Saal spiegelte die schmerzvolle Erkenntnis wider, die entsteht, wenn zwei Menschen, die sich einst liebten, nun erbittert gegeneinander kämpfen. Ein eindringlicher Moment, der uns daran erinnert, was es bedeutet, Mensch zu sein – mit allen Schönheiten und Abgründen. Und so endete die knapp 90-minütige Auszeit vom Alltag, erfüllt von Gefühlen, die an die eigene Lebendigkeit erinnerten.
Beim Verlassen des Heimathafen Neukölln hallt nicht nur die Wirkung der Texte nach, sondern auch die klare Botschaft: Hier ist etwas Wertvolles in Gefahr, und es liegt an uns, es zu bewahren – bevor die Stadt ein Stück von dem verliert, was sie ausmacht.
***
Was könnte es bedeuten, wenn die Finanzierungen gekürzt werden?
Sollten die geplanten Kürzungen tatsächlich umgesetzt werden, könnte sich die Berliner Kulturlandschaft stark verändern. Es könnte weniger Veranstaltungen geben, und jene, die noch stattfinden, wären wahrscheinlich auf kommerziellen Erfolg ausgerichtet. Dies würde für viele Kulturschaffende das Aus bedeuten. Besonders kleinere, nischenorientierte Projekte wären gefährdet, wodurch die kulturelle Vielfalt erheblich leiden könnte.
Auch die Eintrittspreise könnten steigen. Eigentlich kostet ein Besuch im Theater, bei Konzerten oder in der Oper sehr viel mehr, als das was auf dem Ticket steht. Weniger Zuschüsse könnten bedeuten, dass Kultur für viele unbezahlbar wird – ein Szenario, in dem Kultur zunehmend zu einem Privileg der Wohlhabenderen wird.
Deshalb möchte ich meinen Blog nutzen, um an alle Lesenden zu appellieren, sich für die Kultur einzusetzen. Hier sind ein paar Möglichkeiten, aktiv zu werden:
- an Demonstrationen teilnehmen
- in sozialen Medien laut werden
- Petition unterzeichnen
- mit Freund:innen und Familie über das Thema sprechen
- selbst kreativ werden und eigene Wege finden, Aufmerksamkeit zu schaffen
Ich hoffe, dieser kleine Beitrag trägt dazu bei, auf das Problem aufmerksam zu machen und den Dialog darüber anzuregen. Danke fürs Lesen!